Im Dezember 2016 waren
Silvia Schäfer, Josef und Brigitte Ender erneut bei den Abschlussprüfungen
des Kanthari-Instituts in Kerala bei Sabriye Tenberken.
Lesen Sie den Bericht von Silvia Schäfer und schauen Sie sich den kleinen
Film von Brigitte Ender an
Besuch bei Sabriye Tenberken in Kerala/Südindien
Vom 11.-18.12.2016 war
ich mit zwei Freunden zu Gast im "kanthari"-Institut bei Sabriye Tenberken.
Schon zum zweiten Mal durfte ich die Prüfungen der Teilnehmer miterleben,
was jedes Mal ein superspannendes Erlebnis ist.
Was passiert in kanthari?
Nachdem Sabriye und Paul in Tibet eine Blindenschule und danach mehrere Ausbildungsstätten
für Blinde und Sehbehinderte gegründet hatten, die inzwischen von
den damaligen Schülern selbst weiterbetrieben werden, stellte sich die
Frage, wie kann man noch effektiver helfen, soziale Veränderungen in möglichst
vielen Ländern zu bewirken.
So wurde in 2009 das Ausbildungsinstitut in Kerala im Süden Indiens gegründet,
das erst später den Namen "kanthari" erhielt.
Hier werden junge Leute aus Randgruppen verschiedenster Ländern - meist
aus Entwicklungsländern - zu Führungskräften ausgebildet. Durch
intensives Training stattet "kanthari" die Teilnehmer mit all den
Techniken, Methoden und Ideen aus, die sie brauchen, um in ihrem Land nach einem
guten Start, erfolgreich relevante soziale Veränderungen erreichen zu können.
Die Aufnahme der Teilnehmer basiert auf ihren Talenten und ihren Träumen.
Es sind Persönlichkeiten, die Stärke aus ihren Negativerlebnissen
gezogen haben und, indem sie ein Teil einer Zielgruppe sind, die ihnen ähnlich
ist, aus eigenem inneren Antrieb heraus sozialen und ethischen Wandel schaffen
können.
Im ersten "kanthari"-Jahr waren die Teilnehmer überwiegend blind
oder sehbehindert, aber inzwischen ist die Gruppe bunt gemischt. Allen gemeinsam
ist aber, dass sie aus Randgruppen der Bevölkerung kommen und Gleichbetroffenen
helfen wollen, ein besseres, gleichberechtigteres Leben zu führen und nicht
weiter diskriminiert zu werden.
Wer sich zur Ausbildung bewirbt, muss schon die Idee eines Projektes mitbringen
und lernt dann während des 7-monatigen Aufenthaltes in "kanthari",
wie man z.B. Fundraising betreibt, mit Politikern verhandelt, wie man sicher
auftritt und flammende Reden halten kann, wie man mit einer korrupten Regierung
umgeht und vieles mehr.
Nach Beendigung der Ausbildung müssen die Teilnehmer ihr Projekt bei den
sogenannten "talks" vor großem Publikum und einer strengen Jury,
die aus örtlichen Politikern, Sponsoren und wichtigen Persönlichkeiten
besteht, präsentieren. Danach müssen sie sich den Fragen der Juroren
stellen und auch das Publikum hat die Möglichkeit, zu Wort zu kommen. Diese
"talks" durften wir miterleben und ich muss sagen, ich war total überwältigt
von der Power und der Euphorie dieser so verschiedenen jungen Leute! Sie traten
enthusiastisch für ihr jeweiliges Projekt ein und haben sich alle tapfer
bei den teils sehr kritischen Fragen der Juroren geschlagen.
Um welche Projekte und
Themen ging es?
Hier möchte ich nur einige exemplarisch erwähnen. Die Teilnehmer kamen
aus Ländern wie Nigeria, Kenia, Zimbabwe, Nepal, Indien, Kamerun usw. Themen
waren z. B. Albinismus in Kenia, Abholzung der Wälder in Kamerun, Transgenderismus,
HIV-positive alleinerziehende Mütter in Nigeria, Diskriminierung von Frauen
in Indien und vieles mehr.
Seit Gründung von "kanthari" in 2009 wurden 141 Projekte gestartet,
von denen inzwischen weltweit 105 schon sehr erfolgreich laufen. Auch hierzu
einige Beispiele:
Olufunbi Falayi
– Nigeria
Funbi pflegt zu sagen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Nigeria eine tickende
Zeitbombe ist, die jederzeit hochgehen kann. Er glaubt, dass eine der Ursachen
hierfür die Unfähigkeit der Jugendlichen ist, ihre wahren Talente
und Passionen zu entdecken, ihnen initiativ nachzugehen und dass sie auch zu
wenig über Berufsausbildungen wissen. Das Arbeitslosenproblem trägt
zur generellen Armut und der alarmierend hohen Verbrechensrate bei sowie zu
Kidnapping und Terrorismus.
Olufunbi geht diese Probleme durch sein Projekt – Passion Inkubator
– im ganzen Land an. Er plant, zusammen mit den jungen Menschen deren
wahre Interessen herauszufiltern, hilft ihnen, know how auf dem Gebiet zu erlangen,
so dass sie als Selbständige letztlich davon leben können. Er glaubt,
damit langfristig das Arbeitslosenproblem mildern zu können und gleichzeitig
der nigerianischen Wirtschaft viele leidenschaftliche Unternehmer zu bescheren.
Chipo Chikomo – Zimbabwe
Chipo glaubt, dass die größte Tragödie für einen Menschen
nicht der Tod, sondern ein Leben ohne Sinn ist. Sie möchte weiblichen Gefängnisinsassen
durch Handarbeiten einen Sinn und Einkommen sichern und dazu deren Kinder, die
oft allein zurückgelassen werden, in einem beaufsichtigten Haus unterbringen.
Nach Chipos Rückkehr von kanthari befreite eine Generalamnestie alle weiblichen
Gefangenen und sie musste ihr Projekt rasch an diese Gegebenheiten anpassen.
Sie hilft nun diesen entlassenen Frauen, die völlig allein und mittellos
sind und auch oft ihre Kinder nicht mehr finden, sich im Alltag einzugliedern.
Bashiru Adamu –
Nigeria
Bash hegt eine spezielle Leidenschaft für Gefängnisinsassen, die in
seinem Land mit einem Stigma behaftet und ausgegrenzt sind. Er möchte Gefängnisse
in Orte verwandeln, die Perspektiven und Entdeckungen beinhalten und so den
Insassen den Glauben an ihre menschliche Würde zurückgeben. Er hat
bereits eine Bibliothek in einem Gefängnis eröffnet und möchte
daraus eine “Gefängnis Akademie” machen, wo die Insassen sich
Wissen und neue Fähigkeiten aneignen können. Nur so, ist Bash überzeugt,
lässt sich die hohe Kriminalitätsrate und Rückfallquote auf lange
Sicht verringern.
Santhosh M –
Indien
Santhosh kommt aus einer Gegend in Kerala, wo viele Angehörige der indischen
Stämme unterhalb der Armutsgrenze leben. Er sieht einen Grund darin, dass
in seiner Gemeinde traditionelle landwirtschaftliche Praktiken verloren gingen.
Er möchte dieses Wissen und die traditionelle Praxis wiederbeleben und
bewahren und plant eine organische Modellfarm . Das Projekt soll die Stammesbauern
ermutigen, selber in nachhaltige Produktion zu investieren, statt als Arbeiter
in der modernen, nur der Produktivität verpflichteten Agroindustrie zu
arbeiten.
Noeline Kirabo
– Uganda
Noeline hat bereits einige Jahre im Sozialbereich mit Kindern gearbeitet, vornehmlich
im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt, sexueller Ausnutzung und
der Sensibilisierung für die Rechte der Kinder. Sie möchte dies mit
dem von ihr gegründeten Global Leadership Center fortsetzen, in dem durch
kreative Lernmethoden junge Visionäre ausgebildet und ermutigt werden,
sozialen Wandel wirklich herbeizuführen und so Stück um Stück
das Land zu verändern.
Olutosin Ruth –
Nigeria
Tosin ist überzeugt, dass niemand nichts hat. Jeder hat der Welt etwas
zu geben. Ihr Projekt, das in der ländlichen Lbasa Flussegion im Lagos
Gebiet angesiedelt ist, fokussiert sich auf Frauen, die häusliche Gewalt
erfahren haben. Sie trainiert sie, aus “Trash” (Abfall) “Treasure”
(Schätze) zu machen, indem sie recyclierbare Materialien sammeln und daraus
z.B. Kochsäcke nähen. Jede der Frauen soll ihrem Talent entsprechend
kreative Produkte entwickeln und somit zum ersten Mal ein eigenes Einkommen
generieren. Das Projekt wurde in Nigeria bereits mit einem Preis bedacht.
Harriet Kamashanyu
– Uganda
Harriet versteht sich als Botschafterin der HIV-positiven Sexarbeiterinnen,
die vom Staat und anderen Hilfsorganisationen mehrheitlich ignoriert werden.
Selber nahe des Rotlichtbezirkes in Kampala aufgewachsen, plant sie, kleine
Health Cafés aufzubauen, die medizinische Versorgung zu den Frauen bringt
und gleichzeitig deren Töchter in der Pflege ihrer kranken Mütter
unterweist.
Thuktan Yeshay
– Indien
Thuktan kommt aus dem fernen Spiti-Tal an der Grenze zu Tibet, das während
6 Monaten im Jahr von der Außenwelt abgeschlossen ist. Während dieser
Zeit sind nicht nur die Bauern arbeitslos und die Schulen haben geschlossen,
sondern mangels frischer Lebensmittel wie Gemüse und Obst weisen die Menschen
im Tal Folgen einer Mangelernährung auf. Sein Projekt ist, im Tal Gewächshäuser
zu bauen, die den Bauern Arbeit und dem Tal frisches Gemüse liefern, aber
dazu noch eine warme Schulstube bieten, wo die Kinder auch im Winter unterrichtet
werden können.
Nyasha Edlight
Mugwagwa – Zimbabwe
Nyasha ist trotz ihres jungen Alters bereits erfolgreiche Unternehmerin –
sie betreibt eine Seifenproduktion. Sie tat dies aus der Not heraus, da ihre
Eltern den Schulbesuch nicht mehr finanzieren konnten. Sie möchte nun andere
Schulabbrecher in ihrem Betrieb schulen und sie ermuntern, auch selbständige
Unternehmer zu werden.
Jyotshnarani –
Indien
Jyotshna aus dem Staate Odisha (früher Orissa) in Nordindien möchte
Stammes-Frauen im Balasore Distrikt ermächtigen, ihr eigenes Business aufzubauen
und dadurch 100%
Ernährungssicherheit für ihre Familie zu schaffen. Das alte Wissen
über Heilkräuter soll genutzt werden, um medizinische Salben und ähnliche
Produkte herzustellen.
The Bridge Organisation
– Nigeria
Marcus Edibogi Akor hat als Lehrer in seiner ländlichen Heimatregion beobachtet,
dass es jungen Leuten an Selbstvertrauen und Perspektiven mangelt. Mit seinem
10-monatigen Kurs, der erstmals 2013 startet, möchte er den 30 Teilnehmern
zwischen 12 und 18 Jahren helfen, ihre Talente und ihr Potential zu entdecken
und Ideen für ihre weitere berufliche Entwicklung zu generieren. Ein Fokus
liegt dabei auf Unternehmensgründungen. Zusätzlich versucht Marcus
mittels regionalen Konferenzen zum Thema die Aufmerksamkeit und Unterstützung
der Behörden und Oeffentlichkeit zu gewinnen.
Springboard – Nigeria
Nach seinem Studium in Business Administration zog Lawrence Afere , entgegen
der Erwartungen seiner Familie, aus der Stadt in eine ländliche, abgelegene
Region, um mit arbeitslosen Jugendlichen einen landwirtschaftlichen Betrieb
zu bewirtschaften. Springboard bietet Jugendlichen durch das Arbeiten in und
mit der Natur neue Lebensperspektiven und ermuntert sie, ihre eigene Geschäftsidee
im Bereich Agrikultur, Tierhaltung, Holz- oder Textilarbeiten zu realisieren.
Score – Sierra
Leone
Zusammen mit anderen NGOs verfolgt Saa Moses Lamin das Ziel, arbeits- und perspektivlosen
Jugendlichen eine Ausbildung in handwerklichen Berufen zu ermöglichen.
Mit der Anschubfinanzierung war es ihm möglich, ein kleines Lokal zu mieten
und einzurichten sowie Helfer zu rekrutieren. Zusätzlich bietet er Jungen
und Mädchen regelmäßiges Fussballtraining an und thematisiert
damit die Regeln des Fairplay und Teamworks. Dies vor dem Hintergrund des schwierigen
Zusammenlebens unterschiedlicher Volksstämme und Ethnien.
HIV Initiative
– Nigeria
Olutayo Ajayi ist 28 Jahre alt und kommt aus Nigeria. Nachdem seine Familie
in finanzielle Probleme geraten war, ist er auf der Straße gelandet. Tayo
möchte Straßenkinder in Berufen wie Bienenzucht ausbilden, die Kindern
einen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Honig bietet. Dafür hat er
Land gekauft, ein Unterrichtslokal gebaut und lässt sich schulen.
Die Ausbildung all dieser
engagierten jungen Menschen wird durch Spendengelder finanziert. Es gibt vielseitige
Möglichkeiten, "kanthari" finanziell zu unterstützen. Wer
möchte, kann eine Spende machen, man kann eine Patenschaft übernehmen
oder man kann Mitglied des Fördervereins Blindenzentrum Tibet werden. Hier
ist der Jahresbeitrag 30 €, den man aber natürlich gerne auch erhöhen
darf.
Außerdem unterstützt man das Institut, wenn man Sabriye Tenberkens
Buch "Traumwerkstatt Kerala" erwirbt. Es eignet sich gut, als kleines
Geschenk und wir selbst können es bei der Marburger Hörbücherei
ausleihen und erfahren noch mehr über die Ausbildung und einzelne Projekte.
Ich wünsche allen Teilnehmern, die den Kurs 2016 abgeschlossen haben und nun wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind, ganz viel Erfolg in der Umsetzung ihrer Ziele, viel Glück und dass ihnen niemals ihr Optimismus, ihre Power und ihre Begeisterung abhanden kommen!
Silvia Schäfer im Dezember 2016
Natürlich gibt es zu den Projekten von Sabriye Tenberken und Paul Kronenberg mehrere websites, auf denen Sie sich ausführlich informieren können:
https://www.kanthari.de/ und https://www.kanthari.ch/