„Aladin und die Wunderlampe“
am 23.07.2022
Eine etwas andere Aufführung im Rahmen der 38. Brüder-Grimm-Festspiele
Von Silvia Schäfer
Erstmals
wurde bei den Festspielen ein Stück aufgeführt, bei dem blinde und
sehbehinderte Besucher das Geschehen auf der Bühne mit Audiobeschreibungen
verfolgen konnten. Man kennt die sogenannte Audiodeskription bereits seit vielen
Jahren bei Fernsehfilmen, aber auch teilweise im Kino. Dabei wird in Dialogpausen
den sehbehinderten Menschen erklärt, was sich auf dem Bildschirm abspielt.
Alleine durch Zuhören kann man einem Film zwar durchaus folgen, vorausgesetzt,
es gibt viele Dialoge, aber Mimik und Gestik der Schauspieler, Landschaftsbeschreibungen
oder spannende Situationen, die nur mit dramatischer Musik unterlegt sind, bleiben
uns verborgen. Wie sehr sind wir inzwischen von der Audiodeskription bei vielen
Filmen, Shows und auch Dokumentar-Sendungen verwöhnt.
So kam schnell der Wunsch auf, diese Audio-Beschreibungen auch einmal auf der
Bühne in Theater und Oper, aber auch vor allem bei unseren Brüder-Grimm-Festspielen
hier in Hanau zu erleben.
In 2019 durfte ich auf dem Bürgerfest erstmals die Beschreibungen von Florian
Schneider von T_Ohr kennenlernen.
Das ist eine Gruppe von Blindenreportern, die damals noch überwiegend im
sportlichen Bereich, wie z. B mit Fußball-Reportagen im Stadion tätig
waren. Auf dem Bürgerfest 2019 haben sie für sehbehinderte Besucher
live einige Tretboot- und Drachenboot-Rennen beschrieben, aber sind auch mit
Kleingruppen einfach mal an den Ständen und Bühnen vorbeigelaufen
und haben beschrieben, was links und rechts so zu sehen war. An einer solchen
Führung durfte ich teilnehmen und war schlicht weg begeistert.
Die Teilnehmer hatten einen Kopfhörer auf den Ohren, der mit einem kleinen
Kästchen verbunden war, das auf der Brust hing. Was Florian in ein Mikrofon
gesprochen hat, konnten wir gut hören und bekamen einen völlig neuen
Einblick über das Geschehen um uns herum.
Auf dem Rückweg kamen wir am Amphitheater vorbei und ich fragte ihn, ob
er sich vorstellen könne, auch einmal eine Aufführung bei den Festspielen
zu kommentieren. Er war begeistert und schon damals begann für uns die
Planung für das, was wir am 23.07.2022 erleben durften.
Da gab es viel zu tun. Zunächst musste die Stadt Hanau und auch der Intendant
der Festspiele von der Idee überzeugt werden. Das war nicht schwer, denn
bereits seit zwei Jahren gab es auch jeweils eine Vorführung für gehörlose
Menschen, bei der Gebärdendolmetscher live die Dialoge mit Gesten an die
Hörgeschädigten übermittelten. Eine Aufführung mit Audiodeskription
würde den Gedanken der Inklusion weiterbringen und eine Teilhabe für
alle ermöglichen. Die Bezirksgruppe Hanau setzte sich mit dem BSBH in Verbindung,
um zu klären, ob eine solche Aufführung von der Aktion Mensch gefördert
werden könnte. Ja, im Rahmen von Barrierefreiheit sahen wir tatsächlich
eine Chance und das Ausfüllen vieler Anträge nahm seinen Lauf. Für
eine Aufführung bei den Festspielen in 2020 hat die Zeit nicht ausgereicht
und schließlich stellte sich heraus, dass es wegen Corona dann überhaupt
keine Festspiele geben konnte. Für 2021 allerdings hatten wir von der Aktion
Mensch die Bewilligung der Kostenübernahme und freuten uns schon sehr.
Corona gab noch immer keine Ruhe und es gab noch ziemliche Einschränkungen
während der Aufführungen im Sommer 2021. So durfte z. B. nur jeder
zweite Platz besetzt werden und wir entschlossen uns in Rücksprache mit
Intendant Frank Engel, noch einmal zu verschieben, so dass alle Teilnehmer den
vollen und uneingeschränkten Genuss haben könnten.
Und nun war es endlich soweit! Am 23.07.2022 um 15 Uhr startete die Aufführung
von „Aladin und die Wunderlampe“ mit Audiodeskription. Die für
uns im Vorfeld reservierten 40 Plätze waren schnell vergeben, denn nicht
nur Mitglieder der BG Hanau haben sich mit ihren Begleitpersonen angemeldet,
sondern auch viele Interessierte aus anderen hessischen Bezirksgruppen. Es wurde
schnell nötig, das Kontingent zu erhöhen und letztlich freuten wir
uns über 64 Anmeldungen.
Vor Beginn der Aufführung konnte jeder blinde oder sehbehinderte Gast seinen
Kopfhörer am Stand von T_Ohr abholen und bekam eine Einweisung zur Bedienung
der Technik. So lernte gleich jeder Florian Schneider kennen, dessen Stimme
wir in den nächsten 2 Stunden auf den Ohren haben sollten. Im Zuschauerbereich
war hinter der letzten Reihe im mittleren Block eine schalldichte Sprecherkabine,
versehen mit der nötigen Technik aufgebaut. Nun wurde es spannend für
uns. Schon kurz vor 15 Uhr schalteten wir unsere Geräte ein und hörten
tatsächlich schon Beschreibungen zum Bühnenbild und auch zum Geschehen
rundherum. Das war ein guter Test, denn so konnte jeder die für ihn richtige
Lautstärke einstellen.
Das orientalische Märchen bot sehr vieles, was für uns zu beschreiben
war. Welche Kostüme trugen die Akteure? Wie war das Bühnenbild gestaltet?
Wie war die Mimik und Gestik? Wie oft änderte sich die Kulisse und was
gab es da zu sehen? Wie wurde das Erscheinen des Geistes aus der Wunderlampe
dargestellt und wie war das mit dem fliegenden Teppich?
All diese Fragen wären für uns offen geblieben, hätten wir nicht
die Erklärungen auf den Ohren gehabt. Ich gebe zu, bei diesem flotten Stück
mit vielen Dialogen, Musik und Singeinlagen, wäre ich wahrscheinlich auch
so gut mit der Handlung zurechtgekommen. Auch waren mir die Beschreibungen manchmal
doch ein bisschen zu viel. Vielleicht wäre ab und zu weniger, mehr gewesen.
Aber Florian wollte in der Pause unser Feedback hören und er versprach,
es im zweiten Teil ein bisschen anders zu machen. Und das tat er dann auch.
Insgesamt gesehen war es eine großartige Aufführung mit tollen Schauspielern,
ein echtes Erlebnis für die blinden und sehbehinderten Gäste, aber
auch für jeden anderen sicherlich unvergesslich.
24.07.2022, Silvia Schäfer
Wir sitzen ganz vorne, im Bild u.a. Silvia und Josef.
Florian Schneider in seiner schalldichten Sprecherkabine.