Wanderwoche in Südtirol
Ein Höhepunkt dieses Jahres in der Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes Hessen e.V. ist leider viel zu schnell vorüber gegangen. 13 Mitglieder der Wandergruppe des Hanauer Blindenvereins fuhren vom 21.- 29. Mai mit dem Zug nach Bozen (Italien). Schon die Zugfahrt war eine Herausforderung, denn erst nach zweimaligen Umsteigen erreichten wir am frühen Nachmittag Bozen und wurden dort von einem Mitarbeiter des Blindenzentrums, in dem wir wohnten, in Empfang genommen. Auf der Fahrt zum Blindenzentrum hatten wir die erste Stadtrundfahrt somit gratis.
Das Blindenzentrum, wunderschön im Stadtteil Gries gelegen, bot uns alles für einen erholsamen Urlaub. Das fing bei den komfortablen Zimmern an, reichte über eine hervorragende Verpflegung, bot uns einen großen Garten mit Sitzgelegenheiten und Bewirtung, und den Sportlichen unter uns, ein großes Schwimmbad mit Sauna, eine Kegelbahn und eine Schießanlage für Blinde. Besonderen Dank gilt hier noch mal den freundlichen, hilfsbereiten Mitarbeitern des Zentrums, die uns jeden Wunsch von den Lippen ablasen.
Gleich am Anreisetag machten unsere sehenden Begleitpersonen eine neue Erfahrung: Der Leiter des Blindenzentrums führte uns in die vor Kurzem eingerichtete Dunkelbar. In diesem Räumen konnten die Sehenden ihre Sinne testen und spüren, wie es sich anfühlt, erblindet zu sein. Der Rundgang durch eine nachempfundene Wohnung in der Kinderspielzeug herumlag, in deren Küche Küchengeräte zur Benutzung herumstanden, es Obst, Gemüse und verschiedene Lebensmitteln zu ertasten und erkennen galt, gipfelte in einem anschließenden kleinen Waldspaziergang, wo Äste den Weg versperrten, Moos auf Felsen die Finger kitzelte und der Boden unter den Füßen plötzlich nachließ, weil eine Laubkuhle nicht erkannt werden konnte. Doch sollten diese neuen Erfahrungen noch nicht aufhören. In die eigentliche Dunkelbar gebeten, hieß es nun einen Tisch und Stuhl zu finden und sich selbst Wein einzuschenken ohne hinterher duschen zu müssen. Nachdenklich geworden fanden die Sehenden mit Hilfestellungen den Weg zurück ins Licht.
Die nächsten Tage
waren geprägt von weiten Wanderungen durch die Weinberge im Tal der Etsch
nach Siebeneich, auf der Oswaldpromenade, die über schöne bewaldete
Berghänge zur Talfer und nach Bozen zurückführt, eine Fahrt zu
Wanderungen um die Montiggler-Seen und eine Wanderung auf dem Ritten, auf dem
ein Themenpfad auch für uns blinde Wanderer besondere Reize bot, denn die
Informationstafeln wiesen auf geographisch, geologisch und geschichtlich Bedeutsames
der Region um Bozen hin. Auf den Wanderungen stärkten wir uns jeweils mit
einer typischen Jause, oft bestehend aus dem kulinarischen Markenzeichen der
Region, dem Tiroler Speck, Kaminwurz und Schüttelbrot.
Den hervorragenden Tiroler Wein genossen wir nicht nur bei den Jausen oder am
Abend, sondern auch auf einer extra für uns durchgeführte Weinprobe
beim Grieser Weinbauern Kaufmann, der uns fachmännisch alle Fragen über
den Weinbau und die Qualität der Weine beantwortete.
Kulturell hatte diese Wanderwoche auch einiges zu bieten. Das fing mit einer sehr guten Stadtführung in Bozen an. Wir erfuhren einiges über die verschiedenen Baustile des Domes, hörten, was es Sehenswertes an seiner Westfassade gibt und konnten die spätgotische Kanzel aus dem Jahre 1514 befummeln. Über verschiedene Gassen mit charakteristischen Häusern mit schönen Erkern und schöner Fassadengestaltung, sich überschneidenden Dächern und Treppen, wie z. B. in der Silbergasse, erreichten wir durch einen engen Durchgang am Kornplatz die berühmte Laubengasse, die Handelsstraße Bozens.. Viele kleine, elegante Geschäfte mit exquisiter Schaufenstergestaltung sind hier wie Perlen an einer Schnur aneinander gereiht. Sehr leicht hätten wir hier ein Vermögen loswerden können! Aber nicht nur die Kunst und Architektur stand im Mittelpunkt dieser Führung, denn wir wissen seitdem auch, wann und warum Olivenbäume mal die dunkle Ober-, mal die helle Unterseite ihrer Blätter zeigen. Auch den täglich stattfindenden Obstmarkt besuchten wir.
Nach einer Stärkung in einem typischen Bozener Restaurant lenkten wir unsere
Schritte in das Südtiroler Archäologiemuseum – das „Ötzimuseum“.
Es dokumentiert die Ur- und Frühgeschichte Südtirols vom Eiszeitende
um 15 000 v. Chr. bis zur Zeit Karls des Großen um 800 n. Chr. Wir waren
sehr gespannt auf die Gletschermumie, deren Alter man auf ca. 5300 Jahre schätzt.
Das Modell des „Ötzi“ zu seinen Lebzeiten durften wir befummeln
und vom „Ötzi“ spürten wir nur die Kühle der Außenwände
des Raumes, in dem er auf Eis gebettet liegt: Ein Guckloch gestattete den sehenden
Begleitpersonen einen Blick auf ihn. Anschließend versuchten sie sein
eigentlich schauderhaftes Aussehen ihren nichtsehendenPartnern zu erklären.
Der Weltkurort Meran, einst
der erste Kurort in Tirol, war uns einen Tagesausflug wert. Die Kurstadt, die
viele Baustile in sich vereint, betraten wir durch das mittelalterliche Bozner
Tor, das mit zwei anderen zur alten Stadtbefestigung gehört. Die Pfarrkirche
St. Niklaus aus dem 14./15. Jh. war unser erstes Ziel, gilt doch der 83 m hohe
Turm als Wahrzeichen der Stadt Meran. Die kleine achteckige, zweigeschossige
St.-Barbara Kapelle gleich nebenan beeindruckte uns wegen ihrer Bauweise und
ihrer Intimität.
Meran hat, wie Bozen, eine Laubengasse, mit ebenso wertvollen Häusern und
vielen Geschäften, von denen eins exklusiver als das andere ist. Wenn die
Sehenden sich nicht gerade die Nase an den Schaufenstern plattdrückten,
konnten sie von dieser Gasse die Meran umgebenden Berge sehen.
Natürlich gelang es uns auch, dank der hervorragenden Reiseleitung, eine
urige Gaststätte zu finden, in deren Biergarten wir unter hohen alten Kastanien
Platz fanden und mit viel Vergnügen bedient wurden. Gut gesättigt
war anschließend ein Verdauungsspaziergang notwendig, und was war da besser
geeignet als die fürstlichen Wandelhallen des Kurhauses?
Das Kurhaus, ein prachtvoller Jugendstilbau, wurde bereits 1914 eröffnet.
Vor der Kulisse der hohen z.T. noch schneebedeckten Berge Südtirols erschienen
vor unserem geistigen Auge befrackte Herren mit hohen Zylindern und Damen in
weiten Spitzenröcken, mit kleinen Sonnenschirmen in der Hand, die Heilwasser
schlürfend vor dem Kurhaus wandeln.
Wir liefen an „normalen Bürgern“ vorbei, und genossen die blühenden
duftenden Rosenstöcke, die unsere Sinne verwöhnten. Der Spaziergang
entlang der Passer, ein Wildwasserfluss, war ein Hochgenuss. Er endete an den
neu gebauten Meraner Thermen neben der Theaterbrücke. Von hier aus fuhren
wir im rasenden Tempo mit dem öffentlichen Linienbus nach Bozen zurück.
Bilder unseres Ausflugs nach Meran
Doch war uns das alles
noch nicht „Kultur“ genug, denn all abendlich wurde zünftige
Musik gemacht, dank zweier Mitreisender, die hervorragend Gitarre spielten und
uns mit deutschen und russischen Liedern unterhielten. Natürlich bot uns
das die Gelegenheit, auch mal wieder zu singen und so hatten wir des öfteren
einen mehrstimmigen Chorgesang.
Einige von uns wagten sogar einen kleinen Nachtspaziergang auf die - und Stunden
später wieder runter von der – Burg Runkelstein. Der Grund war eine
Freilufttheateraufführung der „Kleinen Bühne Bozen“. „Der
Kanzler von Tirol“ kam im Burghof zur Aufführung und stellte nicht
nur ein Heimatstück dar, dass zu Zeiten der Reformation und der de Medici
spielte, sondern von einer bestechenden Aktualität war. Begeistert verließen
wir dieses sehr gut inszenierte und gespielte Stück, vor einer Kulisse,
die nicht hätte schöner sein können. Die abendliche Stadtrundfahrt
durch die alte Innenstadt von Bozen machte den Sehenden zudem auch noch viel
Spaß.
Eine schöne Fahrt ist nach neun Tagen viel zu schnell zu Ende gegangen.
Wir fragen uns, wo die Zeit geblieben ist. Braungebrannt, durchtrainiert und
dennoch mit ein paar Pfund mehr auf den Rippen sind wir in Hessen wieder angekommen.
Unser besonderer Dank gilt
unsern Mitgliedern Brigitte und Josef Ender für die perfekte Organisation
und die unermüdliche, verantwortungsvolle Reiseleitung.
Ein herzliches Dankeschön auch nochmals an die Mitarbeiter des Blindenzentrums
Bozen, die ständig um unser Wohl bemüht waren und in deren Haus wir
uns tatsächlich so wohl wie zu Hause fühlten – manchmal sogar
noch wohler.
A.K.