Im Dschungel der Kostenträger

Welche Stellen sind wann für die Finanzierung von Hilfsmitteln für behinderte Menschen zuständig?
von Heike Ackermann

Behinderte Menschen sind oft auf Hilfsmittel angewiesen, um ihrem Beruf nachzugehen, die Schule zu besuchen, eine Ausbildung zu absolvieren oder ihren Alltag zu gestalten. Hilfsmittel sind häufig so teuer, dass man die Kosten dafür nicht selbst tragen kann. Aber wer finanziert den Rollstuhl, die Hörgeräte, den Langstock oder die Braillezeile? So verschieden die Lebenssituationen von behinderten Menschen sind, so unterschiedlich sind die Kostenträger. Rechtliche Regelungen finden sich im Sozialrecht. Hilfsmittel im sozialrechtlichen Sinn dienen dem Ausgleich behinderungsbedingter Einschränkungen. Sie sind eine der Leistungsarten, die behinderte Menschen nach den Regeln des Sozialrechts in Anspruch nehmen können, um am Leben in der Gemeinschaft und am Arbeitsleben teilzunehmen.
Ob sie für den privaten oder beruflichen Einsatz bestimmt sind, wirkt sich auf die Zuständigkeit des Kostenträgers aus. Folgende Kostenträger kommen für die Bewilligung von Hilfsmitteln für behinderte Menschen nach dem Sozialrecht In Frage:

" Krankenkasse
" Sozialamt
" Gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft)
" Rentenversicherungsträger (BfA, LVA)
" Arbeitsagentur
" ARGE
" Optierende Gemeinde
" Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV)
" Integrationsamt

I. Hilfsmittel für Zuhause und Ausbildung

Krankenkasse

Die Krankenkasse gewährt ihren Versicherten Hilfsmittel für den privaten Gebrauch, nicht für den beruflichen Bereich!! Wichtig: Das Hilfsmittel muss speziell dem Ausgleich einer Behinderung dienen, wie z.B. ein Bildschirmlesegerät für sehbehinderte Menschen. Gegenstände des täglichen Gebrauchs, zum Beispiel Computer, werden dagegen nicht übernommen. Die Ausnahme ist die Hilfsmittelausstattung von Schülerinnen und Schülern während der Zeit der allgemeinen Schulpflicht. Hier werden z.B. die Kosten für einen behindertengerecht ausgestatteten Laptop übernommen.
In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt das sogenannte Sachleistungsprinzip. Es bedeutet, dass man in der Regel zuerst zum Arzt geht, sich das gewünschte Hilfsmittel verordnen lässt und es im günstigsten Fall von seiner Krankenkasse genehmigt bekommt. Man kann zwischen
Hilfsmitteln der Firmen (die sogenannten Leistungserbringer) wählen, mit denen die Krankenkassen Verträge geschlossen haben. Nur in Ausnahmefällen kann man sich das gewünschte Hilfsmittel selbst besorgen und den Kaufpreis von der Krankenkasse erstattet bekommen.


Sozialamt / Überörtlicher Sozialhilfeträger

Leistungen der Sozialhilfe kommen immer dann in Betracht, wenn kein anderer Kostenträger zur Finanzierung verpflichtet ist und der Antragstellerin / dem Antragsteller die notwendigen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen. Das Gesetz spricht hier von Nachrang der Sozialhilfe. Leistungen der Eingliederungshilfe werden also einkommens- und vermögensabhängig gewährt.
Welche Hilfsmittel und welche sonstigen Leistungen finanziert werden, ist in den §§ 53, 54 SGB XII sowie in der Eingliederungshilfeverordnung geregelt.
Anders als die gesetzlichen Krankenkassen können die Sozialhilfeträger auch Kosten für Hilfsmittel übernehmen, die Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind und zum Ausgleich einer Behinderung notwendig sind. Die Sozialhilfeträger übernehmen auch Leistungen zum Schulbesuch außerhalb der allgemeinen Schulpflicht. Das kann z.B. ein blindengerecht ausgestatteter PC oder eine Mikroportanlage für Hörbehinderte sein.
Eine Aufzählung von Hilfsmitteln im Sinne des § 54 SGB XII findet man in § 13 der Eingliederungshilfeverordnung (EinglVO). Den Text der Verordnung sollte man nicht zu wörtlich nehmen. Schreibmaschine und Tonbandgerät sind Beispiele. Selbstverständlich kann man moderne Hilfsmittel wie behindertengerecht ausgestattete Computer beantragen.

Hilfsmittel sind eine Form der Eingliederungshilfe, die zur schulischen Ausbildung für einen Beruf erbracht wird. Einzelheiten sind in § 13 EinglVO geregelt. Gefördert wird der Schulbesuch außerhalb der Schulpflicht. Das kann beispielsweise eine Berufsaufbauschule oder eine andere staatlich genehmigte Ausbildungsstätte sein. Leistungen der Eingliederungshilfe erhält auch, wer an einer Hochschule studiert oder ein Praktikum absolviert, das Voraussetzung für ein Studium oder den Berufseinstieg ist.
Hilfsmittel bekommt man nicht für jede Ausbildung. Entscheidend ist, dass die gewünschte Ausbildung für den angestrebten Beruf erforderlich ist und man das Ausbildungsziel erreichen kann. Voraussetzung ist auch, dass der Beruf eine ausreichende Lebensgrundlage bieten kann.

Gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft)

Die gesetzliche Unfallversicherung ist immer dann zuständig, wenn ein Arbeits- oder Wegeunfall sowie eine Berufskrankheit Ursache einer Behinderung ist. Alle anderen Kostenträger treten dann in den Hintergrund. Was in der gesetzlichen Unfallversicherung als Hilfsmittel eingestuft wird, ist in § 31 Sozialgesetzbuch VII geregelt.
Hilfsmittel sind alle Sachen (Gegenstände), die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Das Hilfsmittel muss ärztlich verordnet sein.
Hilfsmittel sind Körperersatzstücke, orthopädische und unter anderem auch Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel.
Wichtig: Für Hilfsmittel gelten dieselben Festbeträge wie bei den Krankenkassen. Die Betroffenen müssen den Anschaffungspreis, der über den Festbetrag hinausgeht, selbst tragen. Darauf muss der Arzt hinweisen.

 

II. Hilfsmittel für den Beruf

Rentenversicherungsträger (BfA, LVA)

Die Rentenversicherungsträger sind immer dann für Hilfsmittel am Arbeitsplatz zuständig, wenn man mindestens 15 Jahre sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind in § 16 SGB VI geregelt. In welchem Umfang die Leistungen erbracht werden, richtet. sich nach § 33 SGB XI. Nach § 33 Absatz 8 Nr. 5 gehören dazu technische Arbeitshilfen, die wegen Art und Schwere der Behinderung zur Berufsausübung notwendig sind. Das ist zum Beispiel ein Bildschirmlesegerät oder ein blinden- / sehbehindertengerechter
Computerarbeitsplatz.

Arbeitsagentur

Die Arbeitsagentur ist immer dann für Leistungen im beruflichen Bereich zuständig, wenn die Antragstellerin / der Antragsteller weniger als 15 Jahre sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat. Die Art der Leistung richtet sich danach, ob jemand Anspruch auf ALG I, ALG II oder keinen
Leistungsanspruch hat.
Hat jemand Anspruch auf ALG I oder bekommt er keine Leistungen der Arbeitsagentur, können Zuschüsse an Arbeitgeber oder Leistungen zur beruflichen Eingliederung an den behinderten Menschen gezahlt werden. Leistungen zur beruflichen Eingliederung erhalten auch Empfängerinnen und Empfänger von ALG II.
Teil dieser Leistungen sind die Hilfsmittel, die am Arbeitsplatz benötigt werden. Das kann ein Bildschirmlesegerät für Sehbehinderte, ein höhenverstellbarer Schreibtisch für Körperbehinderte oder ein Telefon mit einer Zusatzeinrichtung für Hörbehinderte sein.

ARGE

Die ARGE ist eine Einrichtung, die mit dem Sozialgesetzbuch II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) eingeführt wurde. Die Arbeitsagentur und kommunale Träger (Stadt, Gemeinde, Landkreis) schließen sich in einer Arbeitsgemeinschaft (= ARGE) zusammen, um die Betreuung von ALG II-Empfängerinnen und -Empfängern gemeinsam zu übernehmen. Das gilt auch
für behinderte Menschen, wenn sie ALG II erhalten. Personell wird die ARGE von allen Mitgliedern ausgestattet.

Die ARGE ist für folgende Leistungen zuständig:

" Geldleistungen (Regelsatz, Unterkunft, Mehrbedarf für behinderte
Menschen
bei Teilnahme an einer Maßnahme zur beruflichen Eingliederung)
" Beratung und Vermittlung
" Gewährung von Eingliederungszuschüssen, u.a. Hilfsmittel

Optierende Kommunen

Nach dem neuen Sozialgesetzbuch II haben 69 Kommunen die Möglichkeit, die Betreuung von ALG II-Empfängerinnen und -Empfängern vollständig selbst zu übernehmen. Das bedeutet, dass die Arbeitsagentur dann überhaupt nicht mehr zuständig ist. Diese Regelung hat zur Zeit besonders für behinderte Menschen negative Folgen, weil häufig in den Kommunen das für die
Vermittlung notwendige Fachwissen noch nicht vorhanden ist.

Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV)

Die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) ist eine besondere Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit. Sie ist für die Vermittlung von Fach- und Führungskräften zuständig. Für schwerbehinderte Menschen mit abgeschlossenem (Fach-) Hochschulstudium und einem Grad der Behinderung von mindestens 80% gibt es eine eigene Abteilung, die bundesweit vermittelt.

Für Empfängerinnen und Empfänger von ALG I oder ohne Leistungsanspruch gibt es:
" Zuschüsse an Arbeitgeber
" Berufliche Eingliederung
" Betreuung und Vermittlung

Bei Empfängerinnen und Empfängern von ALG II ist die ARGE bzw. die optierende Kommune zuständig. Die ZAV kann daher nur nach Absprache mit diesen Stellen tätig werden.


Integrationsamt

Die Integrationsämter leisten persönliche und materielle Hilfestellung. Zuständigkeit und Aufgaben der Integrationsämter sind in § 81 Absatz 4, § 84 und § 102 SGB IX geregelt. Ein Schwerpunkt ist die Verteilung der Mittel aus der Ausgleichsabgabe. Leistungen werden sowohl an Arbeitgeber als auch an Arbeitnehmer erbracht. Die Abgrenzung der Zuständigkeit von
Integrationsämtern und Rehabilitationsträgern, z.B. der Arbeitsagentur oder den Rentenversicherungsträgern, bereitet mitunter Schwierigkeiten.
Grundsätzlich gilt: Die Integrationsämter leisten nachrangig, also immer dann, wenn der Rehabilitationsträger, z.B. die Rentenversicherung, die Arbeitsagentur oder die gesetzliche Unfallversicherung, nicht mehr zuständig ist. Es ist daher sinnvoll, wenn man sich zuerst an den
Rehabilitationsträger wendet.
Als finanzielle Leistungen kommen in Frage:
" technische Arbeitshilfen,
" Hilfen zum Erreichen des Arbeitsplatzes,
" Hilfen zur Gründung und Erhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz,
" Wohnungshilfen zur Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behindertengerechten Wohnung.

Was tun, wenn man nicht weiß, welcher Kostenträger zuständig ist?

Damit behinderte Menschen nicht wie ein Pingpongball zwischen den Kostenträgern hin- und hergeschickt werden, wurde der § 14 SGB IX eingeführt. Dort ist unter anderem geregelt, dass ein Kostenträger innerhalb von 2 Wochen entscheiden muss, ob er zuständig ist oder nicht.
Betrachtet er sich als nicht zuständig, muss er den Antrag an den Kostenträger weiterleiten, den er für zuständig hält. Der muss dann auf jeden Fall handeln.
Um den oder auch die zuständigen Kostenträger zu finden, kann man sich auch an die nach SGB IX vorgesehenen Servicestellen wenden. Ein Verzeichnis der Servicestellen findet man im Internet unter http://www.sgb-ix-umsetzen.de
Dort ist auch der Gesetzestext des SGB IX veröffentlicht. Und noch eine Faustregel: Das Sozialamt ist immer zuletzt zuständig. Will man einen Antrag mit Chancen auf Erfolg stellen, sollte man den Ablehnungsbescheid der Krankenkasse oder der Rentenversicherung in der Tasche haben oder rechtlich sicher argumentieren können.

Die Autorin:
Heike Ackermann ist Juristin und verfasst für INCOBS (Informationspool
Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte) Informationen zu
Rechtsfragen im Hilfsmittelbereich. INCOBS wird vom Bundesministerium für
Arbeit und Soziales gefördert und von der DIAS GmbH, Hamburg, durchgeführt.

Adresse:
DIAS GmbH
Neuer Pferdemarkt 1
20359 Hamburg
Tel. 040 / 431 875 - 0
http://www.dias.de

 

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