Am 23.September 2011 steht folgender Artikel über die Situation am Hanauer Hauptbahnhof auf der ersten Seite des Regionalteils des Hanauer Anzeigers:

Vor dem Hauptbahnhof, Eingangsbereich
Eine Modernisierung des Hanauer Hauptbahnhofs ist weiterhin nicht in Sicht.

Wo Zugfahren zur Herausforderung wird

Irrgarten für Blinde und Hindernisparcours für Gehbehinderte: Am Hanauer Hauptbahnhof liegt vieles im Argen

Hanau (cd). Im August wurde eine Rahmenvereinbarung getroffen: 258 Millionen Euro werden Deutsche Bahn und Land Hessen in die Sanierung von 93 Bahnhöfen investieren (der HA berichtete). Während somit andernorts dringend notwendige Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen werden und vor allem für Barrierefreiheit gesorgt wird, schaut Hanau weiter in die Röhre. Blinde sowie seh- und gehbehinderte Menschen haben dort seit Jahren ihren Kampf.
„Hanau wurde nicht in die Rahmenvereinbarung aufgenommen, da der Bahnhof im Rahmen der Planungen 'Nordmainische S-Bahn' Berücksichtigung findet“, teilt ein Bahnsprecher auf HA-Nachfrage mit. Die Bahn-Pressestelle betont außerdem: „In den letzten fünf Jahren wurden in den Hanauer Hauptbahnhof über 100 000 Euro investiert.“ Unter anderem sei ein neuer Bahnsteigbelag an den Gleisen 102 und 103 aufgebracht und ein neues Wegeleitsystem in Empfangshalle und Unterführung eingerichtet worden.
Darüber hinaus wird auf die neue Fahrgastinformationstafel in der Eingangshalle und neue Sitzbänke in der Empfangshalle verwiesen. Außerdem sei das Reisezentrum von 6 bis 22.30 Uhr mit Service-Personal besetzt und das gastronomische Angebot mit der Ansiedlung einer Fast-Food-Kette weiter verbessert worden, erklärt der Sprecher weiter.
Mit ihrer Ansicht zur Situation am Hanauer Hauptbahnhof steht die Deutsche Bahn allerdings ziemlich alleine da. Immer wieder werden und wurde Klagen in der Bevölkerung über das karge Bild der Drehscheibe laut. Menschen mit Handicaps haben weitaus handfestere Probleme, wie Nachfragen des HANAUER ANZEIGER zeigen. Denn einen Aufzug gibt es nur am Bahnsteig der S-Bahn. Alle anderen Zugänge sind zwar mit Treppenlifts ausgestattet – für dessen Bedienung müssen allerdings Mitarbeiter der Bahn anrücken, die über eine Hotline angefordert werden können. Dass das nicht immer funktioniert, weiß Doris Peter, Vorsitzende der Lebenshilfe Hanau und des Behinderten-Werks Main-Kinzig, zu berichten.
Immer wieder gebe es Probleme bei Ausflügen mit Behindertengruppen. Peter erinnert sich noch genau an eine geplante Reise nach Weimar, die frühmorgens mit dem ICE ab Hanau beginnen sollte. „Wir hatten jemand im Rollstuhl dabei, der mit dem Lift auf den Bahnsteig gebracht werden musste.“ Doch zu der frühen Uhrzeit sei niemand bei der so genannten Mobilitäts-Hotline der Bahn erreichbar gewesen. „Deswegen mussten wir einen Umweg über Frankfurt mit der S-Bahn nehmen“, ärgert sie sich.
Der Behindertenbeauftragte der Stadt Hanau, Udo Lentz, kann die Erfahrungen nur bestätigen. „Die Situation ist schlecht wie eh und je und es gibt keine Aussicht auf Besserung“, macht er deutlich. Nicht nur die fehlenden Fahrstühle an sich sind Lentz ein Dorn im Auge. „Es ist eine Zumutung, dass jede Fahrt vorher angemeldet werden muss, damit man als Behinderter auf den Bahnsteig kommt“, sagt er. Immerhin sei Hanau ein ICE-Bahnhof und keine kleine Haltestelle.
Blinde und Sehbehinderte haben mindestens ebenso große Probleme. „Es fehlen Orientierungshilfen in der Empfangshalle, auf dem Weg zu den Bahnsteigen und an den Gleisen selbst“, erklärt Silvia Schäfer, stellvertretende Leiterin der Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen. Zwar gebe es Kontraststreifen für Menschen mit Sehschwächen, einem Blinden nutze dies jedoch nichts. „Der weiß nämlich nicht, in welche Richtung er gehen muss“, betont sie. Eine Abhilfe könnten Hinweise in Blindenschrift an den Handläufe schaffen. Entsprechende Hilfestellungen gebe es an anderen Bahnhöhfen längst.
Seit Jahren setze man sich für die Verbesserung der Situation am Hauptbahnhof ein, geschehen sei immer noch nichts, ergänzt Bezirksgruppenmitarbeiter Josef Ender. „Wir haben der Bahn schon angedroht, in einer Nacht- und Nebelaktion selbst die Hinweise aufzukleben – allerdings wurde uns geraten, das lieber zu lassen“, macht er deutlich. Schäfer und Ender vermissen außerdem einen Mobilitätsservice. „Dabei helfen Bahnmitarbeiter etwa beim Weg zum Zug oder beim Umsteigen“, erklären sie. Dass an einem Bahnhof wie in Hanau nicht mehrere Bedienstete ständig bereit stehen könnten, sei klar – eine Lösung müsse aber dennoch her.
Derzeit steht in den Sternen, wann sich am Hauptbahnhof etwas bewegt, denn auch die Finanzierung des Großprojekts Nordmainische S-Bahn ist alles andere als gesichert. Weiter warten und hoffen, lautet also die Devise. ?Christian Dauber (HA)

Blick in den Tunnel, der zu den Gleisen führt
Kein Blickfang: Der zu den Bahnsteigen führende Tunnel gibt ein tristes Bild ab.

Treppenaufgang zum Bahnsteig, in der Mitte Radfahrer mit seinem Fahrrad Schild mit der Aufschrift: Rollstuhllift. Bedienung nur durch das Servicepersonal

Der Weg zu den Bahnsteigen ist beschwerlich – nicht nur für behinderte Menschen. Auch Fahrradfahrer haben ihre Probleme. Die Lifte können nur durch Bahnpersonal bedient werden. Doch offenbar sind nicht zu allen Zeiten Mitarbeiter verfügbar.

KOMMENTAR

Hanauer Hauptbahnhof

Anschluss verpasst
Von Christian Dauber

„Die Bahn macht mobil“, wirbt die Deutsche Bahn für ihre Dienstleistungen. Für Reisende in Hanau muss das wie blanker Hohn klingen. Der Hauptbahnhof fristet seit Jahren ein trauriges Dasein. Während in der Innenstadt dank des Wettbewerblichen Dialogs mächtig aufgerüstet wird, moderne Einkaufszentren und Wohnungen entstehen und der Goldschmiedestadt ein neues Gesicht verliehen wird, bleibt die Verkehrsdrehscheibe vor den Toren Hanaus eine graue Maus.
Trist kommt der Bau daher, der den Charme der 60er Jahre (leider) noch an vielen Stellen versprüht – im Besonderen, wenn man den zu den Bahnsteigen führenden, unattraktiven Tunnel betrachtet. Daran ändern auch das neue gastronomische Angebot für Liebhaber amerikanischer Frikadellenbrötchen und die Infotafel im Eingangsbereich nichts.
Die karge, lustlose Optik wäre noch zu verschmerzen, doch sie ist nicht das einzige Manko. Für Menschen mit Handicaps heißt es im wahrsten Sinne des Wortes: „Anschluss verpasst.“ Fehlende Aufzüge (nur die S-Bahn ist ohne Hilfe barrierefrei zu erreichen), teils nicht funktionierende Lifte für gehbehinderte Menschen oder der Mangel an geeigneten Orientierungshilfen für Blinde und Sehbehinderte – die Liste der Stolpersteine am Hauptbahnhof ist lang. Auch die mitten im Eingangsbereich platzierten Fahrkartenautomaten und Tafeln, die in Stoßzeiten für Menschenansammlungen sorgen, sind für behinderte Fahrgäste ein ärgerliches Hindernis.
Für 258 Millionen Euro sanieren Bahn und Land nach der Unterzeichnung einer Rahmenvereinbarung in den kommenden Jahren 93 Bahnhöfe in ganz Hessen. Hanau ist nicht dabei. Angesprochen auf den erneuten Aufschub der längst überfälligen Modernisierungsmaßnahmen, verweist die Pressestelle der Deutschen Bahn auf das Projekt Nordmainische S-Bahn. Das vermag kaum für Trost zu sorgen, steht doch die Finanzierung des lange geplanten, hunderte Millionen Euro teuren Großvorhabens wieder in den Sternen.
Für Hanau bedeutet dies womöglich weitere, endlose Jahre des Wartens auf einen behindertenfreundlichen, modernen Hauptbahnhof. Zugegeben, es mag weitaus hässlichere und unzugänglichere Bahnhöfe geben. Die Bahn sollte sich aber einmal vor Augen führen, dass in ganz Hessen (außer Frankfurt natürlich) an keinem Bahnhof mehr Züge halten als in Hanau und sich der Bedeutung des Knotenpunkts bewusst werden. Es muss ja nicht gleich ein viele Millionen Euro teurer Prunkbau entstehen, aber klar ist: So, wie sich der Hauptbahnhof derzeit präsentiert, ist er nicht zukunftsfähig.

Fahrscheinautomaten in der Mitte der Eingangshalle
So präsentiert sich der Eingangsbereich des Hauptbahnhofs.


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