Die Festspiele gibt es in diesem Jahr auch auf die Ohren

Zeichengeberin: Dolmetscherin Kathrin Enders übersetzte das, was Oberbürgermeister Claus Kaminsky sprach, in Gebärdensprache. Foto: Patrick Scheiber

 

Hanau – „Schließen Sie Ihre Augen“, sagt Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky zu den anwesenden Zuhörern, bevor Festspiele-Intendant Frank-Lorenz Engel mit gekonnt sicherer Intonation – Profi ist eben Profi – die Szene beschreibt, in der Schneewittchen von der Hexe den vergifteten Apfel angeboten bekommt. Bei dem, was Engel liest, handelt es sich nicht um die Texte der Figuren, sondern um die Audiodeskription, also eine akustische Bildbeschreibung der Szene. Das Publikum an diesem Tag im Hanauer Fronhof besteht hauptsächlich aus Medienvertretern – ohne Sehbeeinträchtigung. Mit der Leseprobe sollten sie einen Eindruck davon bekommen, ein Stück beziehungsweise eine Szene daraus ohne optische Eindrücke zu erleben. Das genau das ist es, was in der Spielzeit 2022 geboten wird: Erstmals wird es eine Vorstellung mit Audiodeskription für Sehgeschädigte geben.
Damit übernähmen die Hanauer Brüder-Grimm-Festspiele einmal mehr eine bundesweite Vorreiterrolle, wie der OB stolz verkündete.
Inklusion sei bei den Brüder-Grimm-Festspielen immer ein wichtiges Thema, betonte Intendant Engel: „Wir erzählen Geschichten für alle.“ Schon vor fünf Jahren setzten die Festspiele Maßstäbe mit einer gesamten Vorstellung für Gehörlose. Zwei Dolmetscherinnen übersetzten simultan in Gebärdensprache.
Dieses seither bestehende Angebot wird es auch in der anstehenden Spielzeit geben. Und auch davon bekamen die Medienvertreter einen Eindruck: Gebärdendolmetscherin Kathrin Enders übersetzte das, was Kaminsky und Engel sprachen.
Die Initiative für das Audiodeskription-Projekt ging von der Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes Hessen aus. Deren Leiterin, Silvia Schäfer, hatte in der Vergangenheit bereits Stücke der Festspiele besucht und erzählte im Rahmen der Medienrunde, dass sie sich „da manches Mal einen Knopf im Ohr gewünscht hätte“. 1993 habe sie erstmals einen Film mit Audiodeskription gesehen, erzählte Schäfer, und war gar nicht begeistert. Doch ihre Meinung dazu hat sie längst geändert, weil die Bildbeschreibungen, wie beispielsweise beim beliebten „Tatort“ der ARD, deutlich besser, professioneller geworden seien.
Und so reifte die Idee einer inklusiven Vorstellung für Sehgeschädigte bei den Brüder-Grimm-Festspielen. Schäfer nahm Kontakt auf mit Florian Schneider, neben Maximilian Mohr einer der beiden Audiodeskriptoren, und so entstand schließlich die Gehörlosen-Version von „Aladin“. 40 Plätze seien laut Schäfer zur Vorstellung am Samstag, 23. Juli, für Sehgeschädigte und ihre Begleiter reserviert, dafür gebe es bereits 32 Vorbestellungen.
Die Audiodeskription, die die Sehbehinderten bei der Vorstellung über Kopfhörer hören werden, kommt übrigens nicht vom Band, sondern wird live von zwei Sprechern in einer schalldichten Kabine gesprochen. Zur Vorbereitung werden sich die Audiodeskriptoren bei vorangehenden Aufführungen mit der Handlung vertraut machen.
Inklusive Vorstellungen
Das Stück „Aladin und die Wunderlampe“ wird sowohl in Gebärdensprache als auch mit Audiodeskription gezeigt. Eine Vorstellung in Gebärdensprache für Schulklassen mit 64 Plätzen wird am Dienstag, 14. Juni, um 10 Uhr aufgeführt; eine weitere Gebärden-Version gibt es am Sonntag, 19. Juni, um 14 Uhr zu sehen. Die Vorstellung mit Audiodeskription ist am Samstag, 23. Juli, um 15 Uhr zu sehen.


Quellenangabe: Hanauer Anzeiger vom 01.04.2022, Seite 9

 

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