Hilfe für ein eigenständiges Leben


Silvia Schäfer, Geschäftsführerin der Beratungsstelle Blickpunkt Auge,
demonstriert den elektronischen Organizer mit Braille-Eingabe.
Foto: Detlef Sundermann

Hanau – Silvia Schäfer liebt altmodische Haushaltsgeräte, etwa die Waschmaschine oder die Mikrowelle, deren Programmrad noch vernehmbar klackt. Ein Touchscreen, wie er zunehmend von der Industrie als schickes Bedienelement verbaut wird, lässt sie hingegen verzweifeln, weil der keine Orientierung ermöglicht. Silvia Schäfer besitzt nahezu keine Sehkraft mehr. Was sie bereits in der Schulzeit ereilte, trifft immer mehr Menschen, vor allem im Alter. Schäfer ist hauptamtliche Geschäftsführerin der Beratungsstelle Blickpunkt Auge in Hanau. Sie zählt zu den ersten in Deutschland, die der Blindenbund 2013 mit der Initiative „Blickpunkt Auge“ qualifizierte. Heute gibt es drei Berater und eine Dependance in Nidderau. Die Zuständigkeit umfasst das gesamte Kreisgebiet. Aufgabe ist es, Betroffenen und deren Angehörigen mit Rat beiseitezustehen. Blickpunkt Auge ist eine zertifizierte Beratungsstelle der Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes Hessen.
„Unsere Arbeit beginnt mit dem Auffangen von Menschen, die frisch ihre Diagnose erhalten haben, bis zu Personen, die seit Jahren mit der Blindheit leben“, sagt Schäfer. Gerade auf erstgenannte Gruppe stürze zunächst vieles ein, wie sozialrechtliche Ansprüche oder die Umgestaltung des Wohn- und Arbeitsumfeldes. Hinzu komme die Vorführung von technischen Hilfsmitteln und Schulung daran, damit ein hoher Grad an Selbstständigkeit erhalten bleibt. Alles, was zu den technischen Hilfsmitteln zählt, fällt jedoch in den Aufgabenbereich der ebenso in Hanau ansässigen und zu dem gleichen Verein gehörenden Technischen Informations- und Beratungsstelle für Blinde und Sehbehinderte (TIBS).
Manch Ratsuchender müsse zunächst lernen, sich mit seiner Erkrankung zu arrangieren. „Nicht wenige darunter sind erst einmal total verzweifelt, besonders, wenn sie Gewohntes wie Autofahren oder das geliebte Hobby Fotografieren aufgeben müssen.“ Die Beratung bei Blickpunkt Auge ist immer kostenfrei, betont die Geschäftsführerin. Für Blickpunkt Auge, bei dem ein Förderverein die Finanzierung von Personal und Büro übernimmt, sei es dennoch wichtig, dass die Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes viele Mitglieder hat, für den gegenseitigen Austausch, für Selbsthilfegruppen und für gemeinsame Freizeitaktivitäten bis hin zu Reisen. Aktuell sind es rund 180 Personen, Tendenz schwindend. „Die Älteren sterben uns weg und neue Mitgliedschaften ergeben sich oft nur beim persönlichen Beratungsgespräch.“ Wegen der Corona-Auflagen hätten die bis vor Monaten lediglich über Telefon erfolgen können, sagt Schäfer, die auch Vorsitzende der Bezirksgruppe ist.
Während die Zahl der völlig erblindeten Menschen in Deutschland eher konstant bis abnehmend klein sei, wachse die Gruppe der Menschen mit nicht-brillenkorrigierbaren Sehbehinderungen, nicht zuletzt ob der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD). „Die Leute werden immer älter, damit tritt die AMD immer häufiger als natürliche Folge der Alterung auf – wie die Schwerhörigkeit“, sagt Schäfer. Rückläufig sei hingegen die Zahl der Geburtblinden. „Die medizinische Versorgung von Schwangeren hat sich verbessert, sodass es weniger Frühgeburten gibt, die ein Erblindungsrisiko für das Kind bergen.“ Schäfer schätzt die Zahl der Blinden und Sehbehinderten in Hanau auf 1000 bis 2000.
Laut der International Agency for the Prevention of Blindness (IAPB) und ihrer Vision-Altas-Studie ist in Deutschland die Zahl der Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung in den vergangenen 30 Jahren um rund 1,3 Prozentpunkte auf knapp sieben Prozent gestiegen, gemessen an der Gesamtbevölkerung von gut 83 Millionen Menschen. Genug Betroffene, um auch sie beim Thema Barrierefreiheit mit einzubeziehen. Hierbei geht es um eine möglichst eigenständige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, an Schule und Beruf. „Bei barrierefrei denken viele Menschen an Rampen für Rollstuhlnutzer oder treppenfreie Zugänge“, so Schäfer. Für Sehbehinderte gelten jedoch noch andere Anforderungen, besonders im öffentlichen Raum.
Eine neue Gefahr ergebe sich mit der E-Mobilität. So sei es erst auf Insistieren des Blindenbundes gelungen, dass neue E-Autos zumindest bei geringer Geschwindigkeit ein künstliches Motorgeräusch erzeugen müssen.
„Mit dem Umbau der Innenstadt hat sich in Hanau viel verbessert.“ Schäfer hält dennoch hier und dort ein Nacharbeiten für nötig. Auf dem Freiheitsplatz etwa fehle es an Führung, um sicher über die große Fläche zu gehen, ebenso im angrenzenden Forum. Gar nicht beliebt, weil immer wieder ein schmerzhafter Punkt des Anstoßes, seien die grauen Poller. Diese Autosperren wurden etwa auf dem Platz an der Steinheimer Straße, wo sich die Beratungsstelle befindet, vorbildlich mit gelben Köpfen versehen. Voll des Lobes ist Schäfer bezüglich der Mitmenschen in der Stadt. „Die Leute sind sehr aufmerksam und fragen, ob sie helfen können. Besonders hilfsbereit sind die ausländischen Mitbürger“, sagt Schäfer.

Weitere Infos: Blickpunkt Auge Beratungsstelle Hanau, Steinheimer Straße 1, 06181 956663, https://blickpunkt-auge.de/

 

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