Hanauer Anzeiger, 07.02.2007:

Zielen mit dem Gehör statt mit dem Auge

Tanja Probst am Gewehr

Das Warten auf den ersten Wettkampf: Tanja Probst hat den Traum vom Leistungssport noch nicht aufgegeben. Foto: Paul

"Ein richtiger Kick": Tanja Probst tritt seit einem halben Jahr in Maintal als blinde Schützin vor die Scheiben

Schießen. Die Schulter arbeitet, bringt das Gewehr in die richtige Position. Ein Summen erfüllt den Raum. Die Miene ist angespannt, der rechte Zeigefinger nestelt am Abzug herum. Peng – ein Schuss löst sich, und der Diabolo schlägt in der zehn Meter entfernten Kartonscheibe ein. „Das war eine Acht auf halb drei“, tönt es aus dem Hintergrund. Im achten Ring schlug der Schuss also ein, mit einer Tendenz nach rechts. Den Rechtsdrall hat Tanja Probst an diesem Abend bei allen Trainingsschüssen, das wundert sie selbst: „Heute ist es wirklich komisch, normalerweise tendiere ich immer nach links. Vielleicht brauche ich einfach mal ein bisschen Abwechslung“, meint die 33-jährige Blinde mit einem Kopfschütteln.
Während sich andere Sportschützen für einen goldenen Schuss in die Mitte auf ihren scharfen Blick verlassen können, zielt die vor sechs Jahren völlig erblindete Tanja Probst mit ihrem Gehör. Ihr Gewehr verfügt über einen so genannten Optronik-Aufsatz, der ein von der Scheibe reflektiertes Licht in einen Dauerton umwandelt. Dabei fängt der lichtempfindliche Sensor die Bewegung der Schützin auf und übersetzt diese in ein Signal. Je mehr sich die Sportlerin beim Zielen dem Zentrum nähert, desto höher wird der Ton. Dann kommt es darauf an, im richtigen Moment abzudrücken. „Auch wenn ich einen hohen Ton höre, will ich auf Nummer sicher gehen und warte manchmal einen Tick zu lange, bis ich den Schuss auslöse“, erzählt Probst: „Einige meinen, dass ich in dieser Hinsicht ein bisschen zu ehrgeizig bin.“ Eine Kritik, die sie nicht anficht. „Ehrgeiz gehört zum Sport dazu, das ist ein Ansporn“, betont die Sportlerin, die seit ihrem 15. Lebensjahr im Rollstuhl sitzt.
Durch das Schießen hat Probst eine Möglichkeit gefunden, Abstand vom Alltag zu gewinnen und Dinge zu verarbeiten. Den Reiz ihrer Sportart macht sie jedoch an einem anderen Punkt fest. „In den Phasen, in denen man hochkonzentriert sein muss, schießt eine ganze Menge Adrenalin durch den Körper“, sprudelt es aus ihr heraus, „das gibt einen richtigen Kick.“
Ein geeignetes Hobby zu finden, war für die sportbegeisterte Frau alles andere als einfach. „Zunächst hatte ich mit dem Rolli-Tanz geliebäugelt, aber das gestaltete sich durch meine Blindheit ziemlich schwierig“, denkt Probst zurück, „danach habe ich es mit Reiten probiert, aber das ging mit meinen Beinen auch nicht so richtig.“ Während eines Kur-Aufenthaltes wagte sich die gesprächige Frohnatur das erste Mal an ein Gewehr, von diesem Augenblick an wusste sie: „Das ist die Sportart für mich.“
Die Frage blieb allerdings, wo sie ihr Hobby ausüben könnte. Ein Rundbrief des Blindenbundes Hanau, der über einen Schnupperkurs bei der SSG Maintal informierte, half ihr auf die Sprünge. „Das war wirklich Schicksal, dass es einen Verein bei mir in der Nähe gibt, der Schießen auch für Sehbehinderte und Blinde anbietet“, kann die in Erlensee lebende Schützin ihr Glück kaum fassen. Wie es der Zufall will, ist die Maintaler Sportschützengemeinschaft der einzige Verein hessenweit, in dem auch blinde Schützen vor die Zielscheibe treten dürfen.
Seit einem halben Jahr findet sich Probst im 14-tägigen Rhythmus auf der Schießanlage im Bürgerhaus von Maintal-Bischofsheim zum Training ein und wird dabei von Eilhardt und Dagmar Altenhofen unterstützt. „Bei der Einrichtung des Gewehrs helfen wir Tanja, die Feinjustierung muss sie allerdings selbst hinkriegen“, berichtet ihre Trainerin. Kleine Tipps und Richtungsanweisungen sind erlaubt – allerdings nur beim Üben. Bei den Wettkämpfen sind die Schützen ganz auf sich allein gestellt.
So weit ist Probst, bei der das Gewehr auf einen Holzblock aufgesetzt werden muss, weil eine geeignete Vorrichtung für den Rollstuhl fehlt, allerdings noch nicht. Bisher standen lediglich Vergleiche im Training mit dem zweiten blinden SSG-Schützen, Michael Altenhofen, auf dem Programm. „Das Verhältnis ist recht ausgeglichen. Mal bin ich besser drauf und mal er“, sagt Probst und betont: „Wenn man einen schlechten Tag hat, täuscht einen auch das Gehör.“
Mit ihrem Teamkollegen Altenhofen muss sich Probst das vereinseigene Gewehr mit dem Optronik-Aufsatz teilen. „Das sind alles andere als ideale Trainingsbedingungen“, räumt die in den USA geborene und aufgewachsene Frau ein. Obwohl die Finanzierung der Ausrüstung allein nicht zu stemmen ist, hat Probst ihren Traum vom Schießen als Leistungssport noch nicht aufgegeben. Voraussetzung wäre allerdings, dass sich ein Sponsor fände, der für das Equipment sowie für Turnierkosten aufkäme. Mit ihrem Rekord von 392 von 400 möglichen Ringen im Zeitschießen (40 Schuss innerhalb von 75 Minuten) hat Probst ein überzeugendes Argument auf ihrer Seite.

Diana Grosser (HA/job)

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