Sehbehinderte bleiben nicht allein

Blindenbund macht Betroffenen Mut für Leben ohne Augenlicht – Zahlreiche Hilfsmittel

Hanau (ash/rb). „Ich traue mich nicht mehr zu kochen.“ „Wie soll ich denn jetzt weiterleben?“ oder „Ich kann den Busfahrplan nicht mehr lesen“. Mit solchen Hilferufen muss sich Josef Ender jeden Tag beschäftigen. Der 60-Jährige ist durch einen ärztlichen Kunstfehler seit seiner Kindheit blind. Als Pressesprecher der Bezirksgruppe Hanau des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen engagiert er sich seit 20 Jahren für Menschen, die ihr Augenlicht verlieren oder verloren haben. Auf Hilferufe hin findet Ender meist schnell eine erlösende Antwort.
„Um den Herd bedienen zu können, kann man einfach mit einer Konturpaste die verschiedenen Hitzegarde auf die Schalter malen und dann abtasten.“ Und natürlich gehe das Leben trotz Blindheit weiter, man müsse eben nur wissen wie und da helfe ja das Büro der Bezirksgruppe in der Steinheimer Straße 1 in Hanau weiter.
In Enders Leben ist zum Beispiel „Pronto“ eine große Hilfe. Mit dem kleinen technischen Alleskönner geht der Hanauer ins Internet, verschickt SMS oder lässt sich Bücher vorlesen. Der Computer oder Organizer, wie ihn Ender nennt, ist so groß wie ein Din A5 Buch, hat eine Eingabetastatur für die Blindenschrift namens Braille und eine gute verständliche Sprachausgabe. „Leute die ihre Sehkraft verlieren, sind nach einem Besuch in unserem Büro erleichtert, wie einfach es ist, denn Alltag zu bewältigen.“ Der ehrenamtlich Mitarbeiter fährt fort: „85 Prozent der Erblindungen treten nicht bei der Geburt, sondern erst im Laufe des Lebens auf.“ Gründe seien meist Krankheiten wie Diabetes oder ein Unfall. Blind sei, wer weniger als zwei Prozent, sehbehindert, wer zwischen fünf und 15 Prozent verbliebene Sehleistung habe. In Deutschland gebe es schätzungsweise 150 000 blinde Menschen, so der ehrenamtliche Mitarbeiter.
Die Bezirksgruppe Hanau, Ansprechpartner für den gesamten Main-Kinzig-Kreis, zählt derzeit etwa 150 Mitglieder, davon zwei Drittel Betroffene, der Rest Förderer. „Unser Kreis vergrößert sich nur langsam“, fügt Ender enttäuscht hinzu. Erstens sei da die generelle Scheu Nicht-Behinderter gegenüber Behinderten, weiß er, „zweitens wollen viele Betroffene ihre Einschränkung nicht wahr haben und deshalb erst recht nicht mit Leidensgenossen in Berührung kommen.
Der Verein hat sich daher der Aufklärung verschrieben. Im Büro erhalten auch Nichtmitglieder eine kostenlose Erstberatung, die den Betroffenen helfen soll, die wichtigsten Schritte bei Krankenkassen, Behörden oder dem Arbeitsamt in die Wege zu leiten. Neben bürokratischer Hilfe geht es vor allem auch um zwischenmenschliche Beziehungen, die durch den Besuchsdienst und bei regelmäßigen Veranstaltungen gepflegt werden. „Wir versuchen, die Menschen mit anderen Menschen in Kontakt zu bringen und ihnen damit Mut zu machen“, erklärt Ender.
Neben einfühlsamen und humorvollen kann der studierte Gymnasiallehrer aber auch mal härtere Töne anschlagen. „Viele Blinde sind faul und lassen sich zum Beispiel ihr Essen schneiden. Das ist falsch.“ Das könne man doch selbst, ärgert sich Ender. Zusammen mit Bürobetreuer Andreas Schild und vier weiteren Vorstandsmitgliedern kämpft er dafür, dass Sehbehinderte ihr Leben so gut wie selbst auf die Reihe bekommen.
Daher liegen auch überall im Büro Hilfsmittel zum Ausprobieren bereit. Da gibt es den Scanner, der Texte abnimmt und dem Gegenüber vorliest, spezielle Computerprogramme die Schriften bis aufs 46-fache vergrößern oder Farberkennungsgeräte. „Im Bereich der Textverarbeitung ist ein blinder Mensch also mit dem richtigen Arbeitsplatz zu 100 Prozent einsetzbar“, erläutert Ender. Leider sei vielfach noch nicht bekannt, dass solche Arbeitsplätze in Unternehmen eine staatliche Förderung erhalten.
Der 60-Jährige vertreibt, gemeinsam mit seiner Frau Brigitte, diese technischen Geräte für Blinde und Sehbehinderte in Büros oder Bibliotheken in den ehemaligen GUS-Staaten. Auch wenn die Zeit für Blinde in Deutschland, technisch und gesellschaftlich gesehen, sehr viel besser sei als früher, gibt es laut Ender noch viel zu tun. Augenärzte zum Beispiel seien abseits der Medizin oftmals unwissend über technische Hilfsmittel.
Ender schickt ihnen zwar Informationen zu, „aber da kommt nur wenig zurück“. Mehr Verständnis erhofft er sich auch von den Geschäftstreibenden in der Innenstadt. „Leider verzichten viele nicht auf die Klappschilder vor der Tür, die für uns große Hindernisse darstellen“, erzählt Ender, „ich bezweifele, dass ihr Effekt groß genug ist, um rechtfertigen zu können, andere zu behindern.“
Die Bezirksgruppe leistet nicht nur konkret Hilfe, sondern organisiert darüber hinaus Ausflüge oder Behindertensport. An jedem letzten Freitag des Monats findet um 18 Uhr ein Stammtisch im Gasthaus „Zum Bürgerbräu“ in der Hanauer Friedrichstraße statt, zu dem Betroffene und Förderer gleichermaßen begrüßt werden. Alle aktuellen Termine sind auf der Homepage des Vereins im Internet abzurufen. Das Büro der Bezirksgruppe ist montags bis freitags jeweils zwischen 10 und 16 Uhr unter den Telefonnummer 0 61 81/95 66 63 und 95 66 64 zu erreichen. www.tibsev.de

Bildunterschrift: Steht Betroffenen und Angehörigen bei Fragen rund um Sehbehinderungen zur Verfügung: Andreas Schild. (Foto: Paul)

 

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